Menschenrechte

Verschiedene Menschenrechtsverletzungen stellen einen besonderen Aspekt der Probleme dar, von denen Männer stark betroffen sind. In meinem politischen Engagement mache ich darauf immer wieder aufmerksam. Leider ist das einer von vielen Bereichen, die in der geschlechterpolitischen Debatte kaum Beachtung finden.

Die folgenden Passagen habe ich meinem Buch „Plädoyer für eine linke Männerpolitik“ entnommen, wo ich das Problem ausführlicher behandele und die Quellen konkreter angebe, auf die ich mich beziehe.

 

Genderzide

„Die USA haben die moralische Pflicht einzugreifen, wenn bei ethnischen Säuberungen unschuldige Frauen und Kinder abgeschlachtet werden“, zitiert die Menschenrechtsexpertin Dr. Charli Carpenter den US-Abgeordneten Ronald Coleman, um damit einmal mehr auf die sexistischen Diskurse bei diesem Thema aufmerksam zu machen. Diese Diskurse sind umso befremdlicher, als denjenigen Fachleuten zufolge, die sich überhaupt eingehend mit diesem Problem beschäftigen, Männer bei Fällen von Genderzid – also Massen- und Völkermord, bei dem vor allem Mitglieder eines Geschlechtes umgebracht werden – zu den bei weitem häufigsten Opfern gehören. Professor Adam Jones, wissenschaftlich tätig an der University of British Columbia in Kanada und Begründer sowie Direktor der Institution Gendercide Watch, veröffentlichte zu diesem Thema eine ganze Reihe bestürzender Analysen.

Eine davon widmete sich dem geschlechtsabhängigen Massenmord an Männern im Kosovo, den die westliche Öffentlichkeit kaum bis gar nicht zur Kenntnis nahm. Jones untersucht anhand von Presseartikeln über den Kosovo-Konflikt, mit welchen Strategien die Medien männliche Opfer an den Rand drängten, wenn nicht komplett ignorieren, und allein „würdigen“ Opfern wie Frauen und Kindern in der Berichterstattung Raum gaben. Dabei stellt er Fragen wie: Warum wurden Massenhinrichtungen ausschließlich von Männern von den westlichen Medien ignoriert? Warum wurde Vergewaltigung ganz selbstverständlich als schlimmer bewertet als Folter und Mord? Und warum wurden nur die vergewaltigten Frauen als Opfer beklagt, obwohl es auch eine enorme Zahl männlicher Vergewaltigungsopfer gab?

Das Tragische an Analysen wie denen von Adam Jones und seinen Mitstreitern im Bereich zwischen Forschung und Menschenrechts-Aktivismus ist, dass sie auf die Entwicklung in diesem Bereich bislang nur wenig Einfluss haben. An mehreren Gräueln im Bosnien-Konflikt wird dies besonders deutlich. So stürmte im Juni 1995 die serbische Armee die Stadt Srebrenica im Osten Bosnien-Herzegowinas und schlachtete fast 8000 Männer und ältere Jungen systematisch ab und war damit für das schlimmste Massaker seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verantwortlich. Zwei Jahre vor diesem Massaker hatte der Hohe Flüchtlingsrat der Vereinten Nationen mehrere tausend Zivilisten aus der belagerten Stadt evakuiert. Frauen, Kinder und Senioren war die Flucht über die UN-Konvois gestattet worden; erwachsene Männern aus der Zivilbevölkerung hatte man in der Stadt belassen – dies obwohl den Verantwortlichen der Vereinten Nationen bekannt war, dass in solchen Fällen fast routinemäßig vor allem die männliche Bevölkerung massenweise umgebracht wird. Männer im Alter zwischen 15 und 60 Jahren, die versucht hatten, sich unter den Scharen der Flüchtlinge zu verbergen, wurden von Verantwortlichen des UNHCR entfernt, die sich weigerten, für deren Schutz die Verantwortung zu übernehmen.

Vier Jahre nach dem Massaker, im Jahr 1999, traf sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, um über den Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegsgebieten zu diskutieren. Während im Kosovo erneut vor allem männliche Zivilisten massakriert wurden, einigten sich die Delegierten darauf, dass Frauen und Kinder ein besonderes Recht auf humanitäre Unterstützung haben.

Eine Studie der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch über 3453 Hinrichtungen im Rahmen des Kosovo-Konflikts führte zu dem Ergebnis, dass 92 Prozent aller Opfer, von denen man das Geschlecht kannte, männlich waren. Zu anderen Menschenrechtsverletzungen, von denen weit überwiegend Männer betroffen waren, zählten Gefangennahme und schwere Folter. Dies bestätigen auch Berichte anderer Organisationen zur Menschenrechtslage im Kosovo. Ein Helfer, der in den zurückgebliebenen Dörfern tätig war, sprach von einem „Planeten ohne Männer“, einer Welt, in der es nur noch Frauen und Kinder gab. Die Männer waren verschleppt oder umgebracht worden.

Dieses Ungleichgewicht ist bei ethnischen Säuberungen und vergleichbaren Vorfällen die Regel. Bei dem Völkermord in Ruanda im Jahr 1994 etwa wurde häufig versucht, die Jungen der Tutsi aufzuspüren und umzubringen. Selbst Neugeborene wurden daraufhin untersucht, ob es sich bei ihnen um Jungen oder Mädchen handelte. Jungen wurden augenblicklich getötet. Viele Mütter verkleideten ihre Söhne in der verzweifelten Hoffnung, die Mörder dadurch zu täuschen, als Mädchen. In der Regel vergeblich. Die verängstigten Jungen bekamen sehr genau mit, was geschah.

 

Massenvergewaltigungen

„Der Einsatz von sexueller Gewalt gegen Männer als Kriegswaffe ist fast überall auf der Welt ein Tabu, das schlichtweg totgeschwiegen wird“ berichtete im November 2011 das Greenpeace Magazin. „Nicht einmal in den internationalen Menschenrechtsgesetzen wird das Thema berücksichtigt: Eine Resolution des Weltsicherheitsrates aus dem Jahr 2000 etwa nennt im Zusammenhang mit sexueller Kriegsgewalt ausschließlich Frauen und Mädchen.“

Dabei sind das Leiden und die Traumatisierung der Männer oft um keinen Deut geringer als die der Frauen. „Manche Männer erzählen, dass ihnen Schraubenzieher in den Anus gestoßen wurden“, zitiert das Magazin Salome Atim, eine Mitarbeiterin des Refugee Law Project, das in Ugandas Hauptstadt Kampala niedergelassen ist und versucht, Flüchtlingen aus ganz Afrika beizustehen. „Viele dieser Männer riechen nach Kot, sie können nicht richtig laufen und benutzen Damenbinden, um das Blut und den Eiter aufzufangen.“ Auf Opfer dieser Art stößt man beispielsweise im Kongo aber auch bei jenen Flüchtlingen, die versuchen, Konflikten etwa im Sudan, in Somalia, Burundi oder Eritrea zu entkommen.

Auch neuere Studien beispielsweise aus Liberia zeigen, dass sexuelle Gewalt gegen Männer in Konfliktsituationen weit verbreitet ist – weit über Afrikas Grenzen hinaus. Von 5000 Männern, die während des Bosnienkrieges in einem Sammellager bei Sarajevo gefangen gehalten wurden, berichteten 80 Prozent, sexuell missbraucht worden zu sein. In El Salvador sprachen 76 Prozent aller männlichen politischen Gefangenen von sexueller Folter.

Man findet das Phänomen auch in Sri Lanka, Chile und dem Iran. Dennoch, das weiß auch US-Wissenschaftlerin Lara Stemple von der Universität Los Angeles, wird über diese Männer kaum gesprochen. Der Grund? „Menschen denken gerne in Stereotypen“, erklärt Stemple. Und die Vorstellung von Männern als Opfern statt Täter sexueller Gewalt passt nicht in dieses Schema. Daher gibt es beispielsweise UN-Resolutionen (Nummer 1325 und 1820) aus den Jahren 2000 und 2008, die einen besseren Schutz von Frauen in Konfliktzonen einfordern, sexuelle Gewalt gegen Männer jedoch totschweigen. Als man Dokumente von mehr als 4000 Nichtregierungsorganisationen untersuchte, die sich mit sexueller Gewalt befassen, zeigte sich: Nur drei Prozent erwähnen Männer überhaupt als Opfer und wenn überhaupt, dann in der Regel nur flüchtig.

Zwar liegen dem UN-Jugoslawien-Tribunal in Den Haag inzwischen mehrere Fälle per Anklageschrift vor. Aber verlässliche Angaben oder Schätzungen über die Anzahl männlicher Opfer in Bosnien und im Kosovo gibt es keine. Eine 2010 veröffentlichte Studie über die am heftigsten umkämpften Regionen in der Demokratischen Republik Kongo ermittelte, dass 24 Prozent der Männer (und 40 Prozent der Frauen) sexuelle Gewalt erfahren hatten, aber gezielte Hilfsangebote für die männlichen Opfer fehlen. Über die Situation in Liberia gibt es Erhebungen vom Mai 2008, bei denen die Raten männlicher und weiblicher Opfer ebenfalls einander gegenübergestellt werden. Ihnen zufolge wurden 42 Prozent der weiblichen und 33 Prozent der männlichen Kombattanten Opfer sexueller Gewalt. In der Zivilbevölkerung erlitten neun Prozent der Frauen und sieben Prozent der Männer dieses Schicksal. Ähnlich wie beim Thema „Sexuelle Gewalt in Partnerschaften“ liegen die Raten also nicht derart weit auseinander, wie viele Laien glauben.

Politikwissenschaftler wie Adam Jones hatten schon vor über zehn Jahren über dieses Problem berichtet, die deutsche Männerrechtsbewegung dieses Thema zügig aufgegriffen – so etwa ich selbst in einem meiner Bücher. Pech für die Opfer: Vermutlich eben weil sie sich solchen Tabuthemen zuwendet, wird die deutsche Männerrechtsbewegung von Politik, Medien und Genderstudien üblicherweise noch genauso ignoriert und totgeschwiegen wie die geschilderten Vergewaltigungen selbst. Erst seit kurzem beginnen die Mauern hier ein klein wenig zu bröckeln: Nachdem international angesehene Zeitungen wie die New York Times und der britische Guardian über sexuell misshandelte Männer zu sprechen begannen, konnte man auch in der deutschen Presse zumindest einige wenige Artikel darüber finden.

Dabei liefert vor allem der Guardian zahlreiche Informationen, die man in der deutschen Berichterstattung noch immer vergeblich sucht. So bestätigt Dr. Chris Dolan, der britische Direktor des Refugee Law Projects, zunächst, wie wenig sich die Organisationen, die sich um sexuelle und geschlechtsbezogene Gewalt kümmern, mit männlichen Opfern beschäftigen:

„Es wird systematisch ausgeblendet. Wenn Sie sehr, sehr viel Glück haben, dann widmen sie der Sache am Ende eines Berichts eine Randnotiz. Sie bekommen vielleicht fünf Sekunden a la ‚Ach ja, Männer können auch Opfer sexueller Gewalt sein.‘ Aber keine Zahlen, keine Diskussion.“

Als Teil eines Versuches, dies zu verbessern, produzierte das Refugee Law Project im Jahr 2010 die Dokumentation Gender Against Men. Als sie gezeigt wurde, berichtet Dolan, gab es Versuche, dies zu stoppen – und zwar von wohlbekannten internationalen Hilfsorganisationen.

„Es gibt unter ihnen die Angst, dass dies ein Nullsummenspiel ist“, berichtet Dolan, „dass es also einen vorneweg definierten Kuchen gibt, und wenn man anfängt, über Männer zu sprechen, essen diese irgendwie ein Stück dieses Kuchens weg, den andere lange Zeit gebacken haben.“ Ein Bericht der Vereinten Nationen vom November 2006, der einer internationalen Konferenz über sexuelle Gewalt im Osten Afrikas folgte, dient als typisches Beispiel: „Mir ist als Tatsache bekannt, dass die Leute hinter diesem Bericht darauf bestanden haben, dass die Definition der Vergewaltigung auf Frauen begrenzt bleibt“, erklärt Dolan und ergänzt, dass einer der Spender des Refugee Law Projects, das Holländische Oxfam, sich weigerte, ihm jegliche Spendengelder zukommen zu lassen, bis er versprach, dass siebzig Prozent seiner Klienten weiblich sein würden. Einem Mann, dem es besonders übel ging und der an den Flüchtlingsrat der Vereinten Nationen verwiesen wurde, sagte man dort nur: Wir haben ein Programm für verwundbare Frauen, aber nicht für Männer.“

Lara Stemple kann die sexistische Ausrichtung internationaler Organisationen bestätigen. Es gebe, berichtet sie, einen „konstanten Trommelwirbel, dass Frauen DIE Opfer von Vergewaltigungen sind“ und ein Milieu, in dem Männer als „einheitliche Täterklasse“ erscheinen. Internationale Menschenrechtsgesetze ließen Männer bei allen Maßnahmen aus, die sexuelle Gewalt angehen sollen. „Die Vergewaltigung von Männern zu ignorieren vernachlässigt aber nicht nur Männer, es schadet auch Frauen“, argumentiert Stemple, „indem es eine Perspektive verstärkt, die ‚weiblich‘ mit ‚Opfer‘ gleichsetzt und dadurch unsere Fähigkeit behindert, Frauen als stark und machtvoll wahrzunehmen. Auf dieselbe Weise bestärkt das Schweigen über männliche Opfer ungesunde Erwartungen über Männer und ihre vermutete Unverwundbarkeit.“

Im englischsprachigen Raum haben Männerrechtler inzwischen begonnen, die Einseitigkeit bei der internationalen Opferhilfe zum Thema zu machen. Der Verfasser des Blogs „Toy Soldiers“ etwa stellt die zahllosen Kampagnen, mit denen Gewalt gegen Frauen in Darfur und im Kongo gestoppt werden sollte, der mangelhaften Auseinandersetzung mit dem massenhaften Missbrauch von Jungen in Afghanistan gegenüber: „Er wird immer wieder mal erwähnt, aber es scheint keine Menschenrechtsgruppen zu geben, die ihn wirklich zum Thema machen wollen. Unglücklicherweise ist die damit verbundene Botschaft kristallklar: Vergewaltige Jungen und Männer, und niemand kümmert sich darum. Vergewaltige Mädchen und Frauen, und sie erhalten internationale Unterstützung.“

Wo die großen Medien weiterhin versagen, was ein angemessenes Thematisieren dieses neuen menschenverachtenden Sexismus angeht, finden sich Beiträge darüber stattdessen in Blogs und kleinen, unabhängigen Presseerzeugnissen. So findet in der größten britischen Studentenzeitung, The Mancunion, die Studentin Eve Fensom deutliche Worte, was das Ausblenden männlicher Opfer seitens der Vereinten Nationen angeht:

„Wenn Sie durch die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates waten, die mit sexueller Gewalt während militärischer Konflikte zu tun haben, finden Sie den Begriff ‚genderbasierte Gewalt‘ unglaublich oft. ‚Genderbasierte Gewalt‘ ist einer dieser aalglatten, heimtückischen und politisch aufgeladenen Begriffe, die ihren Mangel an Klarheit mit den zahlreichen möglichen Definitionen wettmachen. Dieser Begriff könnte bedeuten: jede Form von Gewalt, die gegen einen Menschen aufgrund seines Geschlechts ausgeübt wird, aber tatsächlich bedeutet er inzwischen Gewalt, die gegenüber Frauen (und Mädchen) begangen wird, was wiederum sämtliche Formen sexueller Gewalt umfasst. (…) Lange Zeit wurden die Erfahrungen von Frauen bei Konflikten komplett ignoriert, aber heute fokussiert sich die Analyse von Gewalt gegen Zivilisten fast ausschließlich auf Frauen. (…) Die internationale Gemeinschaft muss begreifen, dass der Feminismus nicht umgesetzt wird, wenn jetzt Frauen zu den machtvollen Unterdrückern werden, sondern nur wenn wir uns von der Unterdrückung durch rigide Geschlechterrollen befreien. Den Vereinten Nationen muss klar werden, dass die globale Geschlechterfrage kein Nullsummenspiel ist. Wenn wir ein Geschlecht gegenüber dem anderen bevorzugen, wird das Ergebnis immer ein Verlust sein, aber wenn unsere Strategie aus Gleichberechtigung besteht, wird jeder gewinnen.“

Eve Fensom präsentiert hier eine Haltung, die dem Equity-Feminismus entspricht: jener Minderheit in der feministischen Bewegung, mit der auch Männerrechtler problemlos zusammenarbeiten können. Dass sich Beiträge wie der von Eve Fensom in der radikalfeministischen Emma nicht finden ist klar. Aber warum fehlen sie auch beispielsweise in der taz? Warum wird in deutschen Medien häufig sehr wohl so getan, als ob die Geschlechterfrage ein Nullsummenspiel wäre – und man sich besser beizeiten auf die mutmaßliche Siegerseite schlagen sollte?

Mittlerweile gibt es in der Menschenrechtsarbeit immerhin sehr vereinzelte Lichtblicke. Zu ihnen gehört der am 26. Februar 2013 von Human Rights Watch veröffentlichte Bericht „We Will Teach You a Lesson“ Sexual Violence against Tamils by Sri Lankan Security Forces, der sich mit Vergewaltigungen und anderen Formen sexueller Gewalt beschäftigt, die Mitglieder des Militärs und der Polizei an Tamilen ausüben, die von den Tätern mit der sezessionistischen Gruppe Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) in Verbindung gebracht werden. Dieser Bericht dokumentiert 75 Fälle von Vergewaltigung; die Opfer sind 31 Männer, 41 Frauen und 3 Jungen. In dem Bericht heißt es allerdings auch: „Das Thema der Vergewaltigung von Männern und sexueller Gewalt gegen Männer ist bislang nicht angegangen worden. Von Opfern wie Tätern gleichermaßen unterdrückt bleibt die Vergewaltigung von Männern ein Tabuthema, und Strategien, dieses Verbrechen zu bekämpfen, fehlen auf eklatante Weise.“ Es sind allerdings nicht allein die Opfer und die Täter, die dieses Thema unterdrücken. Viele Journalisten, viele Genderforscher und leider auch viele Menschenrechtsaktivisten sind ebenfalls daran beteiligt. Human Rights Watch – und natürlich die Männerrechtsbewegung – stellen hier eine klare Ausnahme dar.

Es gibt im Zusammenhang mit männlichen Opfern sexueller Gewalt noch eine ganze Reihe von Nebenthemen, die der Aufarbeitung bedürfen. So weist eine Untersuchung darauf hin, dass im ihr vorangegangenen Jahr 22.000 männliche (und 14.000 weibliche) Mitglieder des US-Militärs Opfer sexueller Übergriffe wurden – wobei, ähnlich wie bei häuslicher Gewalt, noch weniger Männer als Frauen Dritten davon berichteten (220 im Vergleich zu 2530 gemeldeten Fällen). In Südafrika scheinen auch Vergewaltigungen von Männern häufig vorzukommen – wobei eine solche Tat wegen der hohen Aids-Raten für viele Opfer einem Todesurteil gleichkommt, die Behörden solche Taten aber kaum erfassen, geschweige denn verfolgen: Erzwungener Analverkehr gilt ausschließlich bei Frauen als Vergewaltigung, bei Männern lediglich als Notzucht, die nur milde bestraft wird. (Im deutschen Strafrecht kann ein Mann erst seit 1996 Opfer einer Vergewaltigung werden, in der Schweizer Rechtsprechung bis heute nicht.) In Algerien scheinen Mitglieder der Al Qaida junge Männer zu vergewaltigen, um sie dadurch sozial derart zu stigmatisieren, dass sie zu Selbstmordanschlägen herangezogen werden können. Sexuelle Gewalt gegen Männer erscheint in den unterschiedlichsten Facetten.

Um zu unterbinden, dass Vergewaltigung weiter als Waffe im Krieg verwendet werden kann, da jedenfalls ist sich Chris Dolan vom Refugee Law Project sicher, wäre der beste Weg, auch Männer in das Thema Geschlechtergerechtigkeit einzubinden: „Unglücklicherweise wurde das Geschlechterthema bislang allein als eine Diskussion über Frauenrechte behandelt. Und daher glauben die meisten Männer, dieses Thema hätte nichts mit ihnen zu tun.“

 

Menschenhandel und Prostitution

„Es gibt Menschen, die uns glauben machen wollen, dass Frauen einen stärkeren Schutz vor Menschenrechtsverletzungen verdienen“, befindet der US-amerikanische Publizist Carey Roberts. „Das wurde im Jahr 2000 deutlich, als die Vereinten Nationen ihr Protokoll zur Verhinderung, Unterdrückung und Bestrafung von Menschenhandel, insbesondere von Frauen und Kindern, erließen. Was ist mit den Männern?“

Roberts behandelt dieses Thema auf der von Wendy McElroy geführten Website ifeminists.com. McElroy gehört zu den Equity-Feministinnen, also jener Minderheit von Feministinnen, die mit Männerrechtlern zusammenarbeiten und auch ihnen Raum geben, über Menschenrechtsverletzungen zu Lasten ihrer Geschlechtsgenossen zu sprechen. So wie in diesem Fall, wo sie Roberts darlegen lässt, dass in vielen Ländern Gesetze gegen Menschenhandel nur dann zur Anwendung gelangen, wenn es um Frauen und Kinder geht – und dass auch Unterstützung und Hilfe oft nur Frauen und Kindern zugutekommt. Sobald Menschenhandel dermaßen sexistisch angegangen werde, argumentiert Roberts, werden Statistiken bedeutungslos: „US-Behörden geben an, dass jedes Jahr bis zu zwei Millionen Frauen und Kinder über internationale Grenzen hinweg geschleust werden. Aber ein im Jahr 2002 veröffentlichter Bericht des Instituts für Migrationspolitik in Washington DC enthüllte den Fehler bei dieser Behauptung: Diese Zahlen werden als sehr konservativ eingeschätzt, da sie den Menschenhandel von Männern nicht mit einbeziehen.“

Wie sich sexistische Gesetzgebung in diesem Bereich auswirkt, zeigt das Beispiel China. Dort wurden Männer von Menschenhändlern ins Land gelockt und zu einer unmenschlichen Schufterei in Ziegeleien versklavt. Nachdem dies aufgedeckt wurde, ergab sich jedoch bald ein Problem: Einige Täter konnten vor Gericht deshalb nicht belangt werden, weil es nur bestraft wird, wenn man Frauen und Kinder Zwangsarbeit tun lässt. Männliche Opfer solcher Praktiken werden unter den Tisch fallen gelassen.

Das ist kein speziell chinesisches, sondern ein weltweites Missverhältnis. Zwangsarbeit, eine Einrichtung, aufgrund der zig Millionen Menschen, in erster Linie junge Männer, zu Tode gekommen sind, wird auch heute nicht durchgehend unter der internationalen Arbeits-Gesetzgebung geächtet und verboten. Tatsächlich wird sie für eine einzige Gruppe als legitim erklärt: gesunde erwachsene Männer. Artikel 11 der heute gültigen International Labour Organization’s Convention Concerning Forced or Compulsory Labour besagt, dass Männer im Alter zwischen 18 und 45 Jahren, die körperlich dazu in der Lage sind, zu Zwangsarbeit herangezogen werden dürfen. Nur was Frauen angeht, herrscht hier ein absolutes Verbot.

Ein Beispiel für die vielen vergessenen Opfer stellt eine Crew von hundert Fischern verschiedener Länder dar, die gezwungen worden waren, in den Gewässern um Indonesien tätig zu sein. Vier von ihnen waren jünger als 16 Jahre. 38 von ihnen starben bei ihrer Arbeit; die meisten davon wurden ins Meer gekippt. Andere kehrten nur schwerkrank wieder nach Hause zurück. Keiner von ihnen wurde für seine Arbeit bezahlt. Und keiner von ihnen galt als Opfer von Menschenhandel und Sklaverei. Dafür hatten sie ein y-Chromosom zuviel. Es gab für die Region rund um Thailand, wo die Versklavung stattfand, ein 1997 erlassenes Gesetz gegen Menschenhandel mit Frauen und Kindern („Prevention and Suppression of Women and Children Trafficking Act“), aber Männer blieben außen vor. Es mussten erst wieder neue Richtlinien erlassen werden, die auch die Träger des y-Chromosoms als Opfer von Menschenhandel anerkannten. Auf den Titelseiten unserer Zeitschriften und Magazine landen sie bis heute nicht.

Nur langsam und allmählich wird der vorherrschende Sexismus aufgebrochen. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung, dass fast nur Frauen vom Menschenhandel betroffen seien, berichtete die britische Daily Mail am 26.4.2012, seien einer Umfrage der Heilsarmee zufolge mehr als zwei Fünftel der erwachsenen Opfer Männer. „Menschenhandel wird oft als Problem gesehen, das vor allem Frauen betrifft“, erklärte dazu Crispin Blunt, ein Mitglied des britischen Justizministeriums. „Das bedeutet, dass männliche Opfer oft übersehen werden und ihnen die Unterstützung entgeht, die sie unbedingt benötigen.“ Natürlich gibt es auch in Deutschland Männer, die aus dem Ausland herbeigeschafft und unter sklavereiähnlichen Bedingungen schuften müssen. Ein Medienthema [wurden sie erst durch die Corona-Pandemie 2020]; auch über eine Stellungnahme aus dem deutschen Justizministerium, die der Crispin Blunts ähnelt, ist nichts bekannt.

Mit einem noch stärkeren Tabu bekommt man es zu tun, wenn man sich mit Opfern beschäftigt, die jenen Geschlechterklischees widersprechen, die der Feminismus gerade nicht beseitigt hat – beispielsweise mit den männlichen Opfern von unfreiwilliger Prostitution, wobei die mangelnde Freiwilligkeit massiver ökonomischer Not ebenso wie Zwang entspringen kann.

Beginnen wir mit Menschen, die sich aufgrund von wirtschaftlicher Not zur Prostitution gezwungen sehen. Hier ergab eine Studie des US-Justizministeriums, die im September 2008 veröffentlicht wurde, dass in der Stadt New York 45 Prozent der minderjährigen Prostituierten Jungen sind. Dieses Ergebnis war ausgesprochen unerwartet. Tatsächlich wuchs die Zahl der ermittelten Jungen so schnell an, dass die Forscher irgendwann aufhörten, weitere Jungen zu registrieren und stattdessen gezielt nach Mädchen Ausschau hielten. Die Rate bei beiden Geschlechtern blieb dennoch annähernd gleich. Die Freier der Jugendlichen waren größtenteils männlich, aber 40 Prozent der Jungen berichteten, auch schon Frauen bedient zu haben. (14 Prozent von ihnen gaben an, ausschließlich Frauen zur Verfügung zu stehen.) Ein höherer Anteil von Jungen als von Mädchen wird Teil dieses Gewerbes, bevor die Betreffenden das Alter von 13 Jahren erreicht haben (19 gegenüber 15 Prozent). Hauptgrund bei beiden Geschlechtern, anschaffen zu gehen, war nicht Zwang durch einen Zuhälter, sondern wirtschaftliche Not, beispielsweise Obdachlosigkeit: „survival sex“, Sex um zu überleben. Die Gruppen und Organisationen, die bei diesem Problem eigentlich für Hilfe sorgen sollten und die öffentliche Debatte in New York beherrschten, waren aber von einem Weltbild geprägt, in dem Prostitution so aussieht, dass Männer Mädchen auf den Strich schicken. Erkenntnisse, die diese Überzeugung in Frage stellten, wurden beiseite gewischt. „Alle Helfer sind auf Mädchen fokussiert“, zitiert die New Yorker Village Voice Professor Ric Curtis, Vorsitzender des Fachbereichs Anthropologie am John Jay College of Criminal Justice in Manhattan. „Ich bin unglaublich verärgert darüber – ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie wütend ich bin. Die Kinder, denen es am übelsten geht, sind die Jungen, vor allem die heterosexuellen Jungen. Es tut mir so leid, dass sie bei den Hilfseinrichtungen keine Chance haben.“

„Aktivisten in diesem Bereich schätzen, dass die Zahl der Jungen in der kommerziellen Sex-Industrie der Anzahl der Mädchen entspricht“, berichtete Nina Strochlic am 16. September 2013 auf der US-amerikanischen News-Website The Daily Beast. Wenige Wochen zuvor war die Studie „And Boys Too“ an die Medien gegeben worden, eine Studie, die zu dem Ergebnis gelangte, der bisherige einseitige Ansatz bedeutete, dass männliche Opfer an den Rand gedrängt werden, wenn es um Hilfeleistungen geht: Nur 16 Prozent erhalten irgendeine Form von Unterstützung; in der Regel wird den Jungen für ihre Situation selbst die Schuld gegeben.

Den üblichen Klischees folgend nehmen Außenstehende selbst diese Jungen weit eher in der Täterrolle wahr. „Der generellen Einstellung gegenüber männlichen Personen in unserer Gesellschaft folgend betrachtet die Öffentlichkeit Jungen nicht als verwundbar, und das hat Auswirkungen auf die Bereitschaft und Fähigkeit der Jungen, um Hilfe zu bitten“, berichtet Ernie Allen, Gründer und Geschäftsführer des Internationalen Zentrums für vermisste und ausgebeutete Kinder.

Schaut man statt auf innerstädtische Prostitution auf Ländergrenzen überschreitenden Menschenhandel, gelangt ein Bericht des US-Außenministeriums aus dem Jahr 2008 auf eine Rate von 45 Prozent Betroffener mit männlichem Geschlecht. Während die meisten von ihnen als Arbeiter gehandelt werden, werden viele Jungen und Männer auch für sexuelle Dienstleistungen herangezogen. Dieses Problem beschränkt sich nicht auf die USA: So wurde im Jahr 2010 in Spanien ein Menschenhandelsring speziell für männliche Prostituierte ausgehoben. (Man versorgte die Männer mit Viagra, Kokain und anderen Stimulanzien, damit sie 24 Stunden am Tag einsatzbereit waren). Im selben Jahr stießen Ermittler auf Sexsklaven, die aus afrikanischen Ländern nach Schottland gebracht worden waren. „Ich glaube, es gibt kein Land auf dieser Erde, in das nicht auch Jungen beim sexuell ausgerichteten Menschenhandel verschleppt werden“, bekundet Blair Corbett, Direktor der Initiative Ark of Hope for Children, ein Fachmann auf diesem Gebiet. Und eine kanadische Studie (Under the Radar. The Sexual Exploitation of Young Men) stieß gleich auf eine ganze Reihe von Fakten, die bisherige Klischees gründlich in Frage stellen: Die sexuell ausgebeuteten Jungen und jungen Männer haben einen vergleichbaren Hintergrund an sexuellem und körperlichem Missbrauch wie die Mädchen und jungen Frauen in diesem Bereich, die sexuelle Ausbeutung begann allerdings durchschnittlich in einem jüngeren Alter, und die jungen Männer blieben länger in dieser Situation, was vielleicht auch daran liegt, dass sie – ähnlich wie in New York – von den meisten Helfern in diesem Bereich kaum wahrgenommen werden.

Ronald Weitzer, Professor für Soziologie an der George Washington University und Fachmann in den Bereichen Sexhandel und Sexindustrie, erklärt zu den Hintergründen: „Nichtregierungsorganisationen haben herausgefunden, dass sie die Öffentlichkeit und mögliche Unterstützer erreichen, wenn sie den Sexhandel von Mädchen betonen. Diese Organisationen haben ein Interesse daran, das Problem auf eine bestimmte Weise zu definieren. Ständig von Frauen und Mädchen zu sprechen dient eindeutig dem Zweck, Regierungsgelder zu erhalten sowie die Aufmerksamkeit der Medien, aber Jungen, die zu Opfern werden, werden ignoriert, weil die meisten Mittel für Mädchen reserviert sind.“

Cameron Conaway, ein weiterer US-amerikanischer Experte für Menschenhandel, weiß ähnliches zu berichten: „Filmemacher, die den Horror des Sexhandels dokumentieren, berichten, ihre Arbeit würde nicht akzeptiert werden, wenn sie den Missbrauch von Jungen zeigen würden. ‚Die Öffentlichkeit ist noch nicht soweit‘ wird mir gesagt.“

„Sexuelle Gewalt gegen Männer ist ein Tabuthema“, zieht der anonyme Verfasser des Männerrechtler-Blogs Toy Soldiers ein Fazit zu solchen Studien und Berichten. „Die meisten männlichen Opfer berichten nicht über ihren Missbrauch, es gibt weniger Anlaufstellen für sie, wo sie Hilfe bekommen könnten, und praktisch kein Interesse seitens Regierungsorganisationen. Dieser Mangel an Beachtung macht männliche Opfer unsichtbar, und was nicht gesehen wird, wird oft so behandelt, als ob es nicht existieren würde.“

 

Zwangsrekrutierungen

„Zu den vielen Unbillen in Myanmar lässt sich eine weitere Gefahr hinzufügen“, berichtete die New York Times vor wenigen Jahren, „die Gefahr, ein Junge zu sein“. Wie ein Bericht der Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch aufzeigte, war das Militär des Landes inzwischen dazu übergegangen, den nötigen Nachwuchs zu besorgen, indem man Bahnhöfe, Haltestellen, Märkte und andere öffentliche Plätze durchforstete, um Jungen bis hinunter zum Alter von zehn Jahren zu kaufen, zu entführen oder so lange zu terrorisieren, bis sie sich „freiwillig“ dem Militär anschlossen. Viele Jungen verschwanden so ohne das Wissen ihrer Familien und verbrachten Jahre an der Front.

Zwangsrekrutierungen fanden in den letzten Jahren auch in anderen Ländern statt, beispielsweise in Libyen, dem Südsudan, Yemen und der Demokratischen Republik Kongo. „Wenn ein kleiner Junge gekidnappt und zum Soldaten gemacht wird, gezwungen wird zu töten oder getötet zu werden“, erklärte der damalige US-Präsident Obama dazu im Oktober 2012, „ist das barbarisch, böse und hat keinen Platz in der zivilisierten Welt.“ Der Haken bei der Geschichte: Vom US-Kongress beschlossene Sanktionen zur Bestrafung der fraglichen Länder wurden von Obama immer wieder gestrichen, was viele Menschenrechtler empörte.

 

Beschneidung

Bei Beschneidung von Knaben endet so mancher Junge verstümmelt oder verliert das Leben. Allein in einem Land wie Südafrika kommt man so innerhalb eines Monats auf 37 Tote, aber beispielsweise auch in Großbritannien kommen Kinder bei dieser Praktik ums Leben. In den USA führen wissenschaftlichen Schätzungen zufolge Beschneidungen bei Jungen zu über 100 vermeidbaren Todesfällen pro Jahr. Ein großes Medienthema ist das hierzulande nicht; auch viele Mitglieder von Menschenrechts-Organisationen zeigen kein besonderes Interesse.

Ungehindert kommt es so zu Monstrositäten wie Massenbeschneidungen auf den Philippinen, wo im Jahr 2011 fast 1500 Jungen im Alter von etwa neun Jahren am selben Tag beschnitten wurden, weil die Akteure sich damit einen Eintrag im Guiness-Buch der Weltrekorde sichern wollten. Man kann sich die weltweite Medienempörung vorstellen, wenn es sich um 1500 Mädchen gehandelt hätte.

 

Todesstrafe und Polizeigewalt

Dass ethnische Minderheiten in den USA besonders stark von der Todesstrafe betroffen sind ist seit langem Thema von Kritikern dieser Praxis. Nur wenige Menschenrechtler hingegen machen den Sexismus zum Thema, der damit verbunden ist. Zu ihnen gehört David Buchanan, ein kanadisches Mitglied von Amnesty International: „Könnten wir uns einmal fragen, welche persönliche Eigenschaft die meisten besitzen, die in der Todeszelle landen?“ fragt Buchanan. „Hautfarbe? Ethnische Herkunft? IQ? Nichts davon. Die Antwort lautet: Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht.“ Tatsächlich waren unter allen Menschen, die in den USA hingerichtet wurden, weniger als drei Prozent weiblich. Werden Jugendliche und Menschen mit geistiger Behinderung hingerichtet, handelt es sich sogar ausschließlich um Männer. Diese Rate bleibt auch dann überproportional, wenn man sie in Bezug auf die begangenen Morde setzt: Weibliche Täter werden vom Justizsystem bei weitem früher herausgefiltert, bevor sie in der Todeszelle landen.

Genaueres rechnet Cathy Young vor, die sich als Equity-Feministin auch gegen Sexismus zu Lasten von Männern einsetzt: Frauen begehen zehn Prozent aller Morde in den USA, landen inzwischen aber zu weniger als einem Prozent tatsächlich in der Todeszelle. Selbst wenn die Todesstrafe über sie verhängt wird, wird das Urteil vergleichsweise häufig in lebenslange Haft umgewandelt oder zurückgenommen. Weltweit sind weniger als ein Prozent der zum Tode Verurteilten weiblichen Geschlechts; in einigen Ländern, beispielsweise Russland, werden sie davon grundsätzlich ausgenommen. Den Genfer Konventionen gemäß dürfen Frauen, die im Rahmen eines militärischen Konflikts ein Verbrechen begehen, nicht mit dem Tode bestraft werden, wenn sie schwanger sind oder ein Kind haben, das jünger als fünf Jahre ist. Für Väter, die ein Kind im Alter von unter fünf Jahren haben, gilt diese Regelung wie selbstverständlich nicht. (Als Quelle zu den letzten beiden Absätzen diente unter anderem dieses Buch.)

Dieser gegen Männer gerichtete Sexismus findet auch dann statt, wenn es um Polizeigewalt geht, noch bevor ein mutmaßlicher Täter (der sich oft genug auch als Unschuldiger herausstellt), einem Richter zugeführt wird. Auch hier ist bislang vor allem in den USA Polizeigewalt gegen ethnische Minderheiten ein Skandalthema. Das sind wichtige Erkenntnisse, aber eine weitere wichtige Erkenntnis, merkt der Professor für Politikwissenschaft Adam Jones an, wird oft übersehen: Fast alle Opfer waren Männer – und das Geschlecht spielt hier eine noch größere Rolle als die ethnische Herkunft: Eine vergleichbare Brutalität gegen weibliche Mitglieder ethnischer Minderheiten gibt es nicht.

Diesen Aspekt brachte im Jahr 2013 auch der US-amerikanische Publizist Noah Berlatsky ein, nachdem in Florida der 17-jährige Afroamerikaner Trayvon Martin von einem Nachbarschaftswachtmann erschossen worden war, weil er sich angeblich verdächtig verhalten habe, was eine landesweite Rassismusdebatte auslöste. Berlatsky hingegen stellte die Frage, ob die „Angst, die Feindseligkeit und schließlich auch die Gewalt“ des Täters nicht nur Martin als Schwarzem, sondern auch Martin als Mann galten. Martin wäre vermutlich nicht erschossen worden, wenn er weiß gewesen wäre, aber dasselbe wäre auch nicht passiert, wenn es sich bei ihm um eine Frau gehandelt hätte:

„Ein Teil von dem, was Rassismus tut, ist, Männerfeindlichkeit und die damit verbundene Gewalt zu aktivieren. (…) Als Lynchmobs ihre Opfer kastrierten und ihre Penisse in die Höhe hielten, zeigten sie damit ihren Triumph nicht nur über die schwarze Hautfarbe, sondern auch über eine Männlichkeit, die sie verabscheuten und fürchteten und die sie glaubten, ruhiggestellt zu haben. (…) Gewalt gegen schwarze Männer wird damit gerechtfertigt, dass schwarze Hautfarbe und Männlichkeit biologisch gefährliche Kategorien darstellen, die mit völkermörderischer Gewalt konfrontiert werden müssen.“

 

Entzug des Kontakts zu den eigenen Kindern

Im Vergleich zu Genderziden, Massenvergewaltigungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern erscheint die Tatsache, dass vielen Vätern nach der Trennung von ihrer Partnerin der Kontakt zu ihren eigenen Kindern unmöglich gemacht wird, vielen vermutlich als weitaus weniger gravierend. Deshalb wird es hier relativ kurz abgehandelt, kann aber nicht vollständig übergangen werden. Es ist die Menschenrechtsverletzung, unter der hierzulande am meisten Männer leiden, viele von ihnen verzweifeln, und sie ist systemimmanent: Wieder und wieder musste erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einschreiten, um entsprechenden Verstößen seitens der deutschen Rechtsprechung Einhalt zu gebieten.

Dass sich Väter über lange Jahre hinweg erst bis vor dieses Gericht hochkämpfen müssen, bis ihre Anliegen juristisch fair gewürdigt werden, ist ebenso skandalös wie, dass Luzius Wildhaber, der Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Deutschland erst eigens zur Umsetzung seiner Urteile ermahnen musste. Deutschland solle sich „näher mit dem System der Menschenrechtskonvention befassen“, erklärte Wildhaber; es gebe da offensichtlich „einige Wissenslücken.“ Um diese auszuräumen, musste Wildhaber ausdrücklich auf Artikel 46 der Europäischen Menschenrechtskonvention verweisen, wo unmissverständlich festgelegt ist, dass die Unterzeichnerstaaten die endgültigen Urteile des Gerichtshofs befolgen müssen.

Gefruchtet hat diese Mahnung nur sehr begrenzt: Der Geist der Menschenrechte, wenn es um Kontakt zu den eigenen Kindern geht, ist in vielen deutschen Gerichtssälen offenbar noch immer nicht wirklich angekommen. Auch Jahre nach Wildhabers deutlichen Worten musste ein 43 Jahre alter Nigerianer erst bis vor das Straßburger Gericht ziehen, um erstmals seine inzwischen fünf Jahre alten Zwillinge sehen zu können, die bei ihrer Mutter in Deutschland leben.

 

Warum gibt es keinen besseren Schutz gegen Menschenrechtsverletzungen speziell zu Lasten von Männern?

Kehren wir aber einmal zurück zu den schlimmsten Menschenrechtsverletzungen, also etwa den Massenmorden, die gezielt Jungen und Männer zu Opfern machen. An welchen Einstellungen, Mechanismen und Strukturen liegt es, dass hier nicht auf internationaler Ebene angemessen eingegriffen wird, sondern sie fast die gesamte Welt einfach so hinzunehmen scheint?

„Die Vereinten Nationen selbst ignorieren den Status und die Probleme von Männern“ befindet hierzu der Soziologie-Professor Anthony Synnott und führt aus: „Die Veröffentlichungen der Vereinten Nationen sind unterteilt in Kataloge zu verschiedenen Themen, einschließlich der Sozialwissenschaften. Diese wiederum listen alphabetisch Publikationen auf, in denen es um das Altern, Kinder und Entwicklungsländer bis zu Statistiken und Frauen geht. Es fehlt nicht nur eine Liste von Publikationen über Männer; ich konnte bei meiner eigenen Suche keine einzige Veröffentlichung über Männer finden. Der Katalog für Frauen ist 12 Seiten lang, mit 222 Bänden in vielen Sprachen. Dazu gehört die ‚Konvention für die Beseitigung aller Formen von Diskriminierungen gegen Frauen‘, aber Diskriminierungen, die gegen Männer gerichtet sind, von der Zwangsrekrutierung über das Sorgerecht und Männerfeindlichkeit bis zu doppelter Moral im Justiz- und Gefängnissystem, werden nicht erwähnt.“ Publikationen über den Menschenhandel, über Gewalt in Partnerschaften und über Kriegsfolgen, zeigt Synnott anhand von konkreten Beispielen, widmeten sich speziell Frauen und Kindern, wobei Männer wieder und wieder ausgeblendet werden. Sein Fazit: „Dieser kurzsichtige Tunnelblick und die parteiischen Bewertungen auf der höchsten Ebene der Forschung ist Teil des Problems, nicht Teil der Lösung.“

Die Menschenrechtsexpertin Dr. Charli Carpenter zitiert in diesem Zusammenhang einen Beamten des Hohen Flüchtlingsrats der Vereinten Nationen, der sich folgendermaßen äußerte:

„In den Medien werden Frauen und Kinder oft erwähnt, vor allem wenn es zu Opfern kommt. (…) Wir im Hohen Flüchtlingsrat tun das auch. Und ich denke, das hat damit zu tun, wie sehr wir uns in unserer Organisation bemühen, bei unseren Operationen auf Geschlechterpolitik zu achten, und es hat auch damit zu tun, dass viele unserer Mitglieder und Spender die ganze Zeit Frauen und Kinder besonders hervorheben und dass Nichtregierungsorganisationen behaupten, wir täten immer noch nicht genug für Frauen und Kinder.“

Ein von Carpenter befragter Entscheidungsträger bei UNICEF erklärte, viele Menschen seien daran interessiert, vor allem Frauen und Kinder weiterhin als Opfer hervorzuheben:

„Denken Sie an die Medien, die viele unserer Vorstellungen von solchen Situationen erschaffen. Die möchten eine gute Geschichte, und eine gute Geschichte handelt von der Beziehung zwischen Gut und Böse, sie dreht sich um böse Männer mit Waffen und gute, unschuldige Frauen und Kinder, die leiden und hungern und vergewaltigt werden. Das ist eine verdammt starke Geschichte. Sowas will man nicht verkomplizieren.“

Teilnehmer eines Seminars des Internationalen Roten Kreuzes beantworteten Carpenters Frage, ob man Männer und Jungen als besonders verwundbare Gruppe hervorheben solle, mit Sätzen wie „Ein Programm für verwundbare Männer würde kein Mensch finanzieren“. Stattdessen stehen Hilfsorganisationen unter dem Druck, immer wieder zeigen zu müssen, was sie alles für Frauen tun. Das verschafft ihnen einen zusätzlichen Anreiz, weniger Betonung auf das Leiden männlicher Zivilisten zu legen. Feministische Gruppen, die besorgt waren, dass das Thema Menschenrechte das Thema Frauen auf der internationalen Agenda verdrängen würde, waren dagegen mit Slogans wie „Frauenrechte sind Menschenrechte“ erfolgreich vorgegangen. Slogans wie „Männerrechte sind Menschenrechte“ gibt es nicht.

So kommt es, dass als beispielsweise in Ruanda Männer und Jungen besonders von tödlicher Gewalt bedroht waren, ihnen eine zuständige UN-Mission entsprechenden Schutz versagte und infolgedessen an einem einzigen Tag über hundert Männer abgeschlachtet wurden. Als der Genderzid-Experte Professor Adam Jones während des Kosovokonflikts seine Sorge über die mit dem Tode bedrohten Männer der Region dem Präsidenten des dafür zuständigen Menschenrechts-Zentrums der Vereinten Nationen mitteilte, erhielt er als Antwort drei Sätze eines Assistenten, der Jones dankte, aber erklärte, derartige Fragen seien nicht Teil des UN-Mandats. Die Frauen wurden in Sicherheit gebracht, reagierten aber sichtlich verzweifelt darüber, dass sie ihre Männer in einer Situation zurücklassen mussten, wo diesen mit hoher Wahrscheinlichkeit der Tod drohte. „Es war nicht leicht dabei zuzusehen, wie Frauen und Kinder von ihren Männern fortgeführt wurden“, zitiert Adam Jones die Reaktion eines holländischen Mitglieds der UN-Friedenstruppen im Kosovo und ergänzt: „Dieses Statement fasst die vorherrschende Einstellung gut zusammen.“ Bedauert wurden die verzweifelten Frauen, nicht die dem sich ankündigenden Massenmord ausgelieferten Männer. Acht Monate später fand das Massaker von Srebrenica statt. Ein Jahr danach gründete die von Jones angeschriebene Institution der UN eine Internationale Koalition zum Schutz der Menschenrechte von Frauen in Konfliktsituationen.

Die Expertin für internationale Beziehungen Paula Drummond untersuchte in einem Aufsatz über „unsichtbare Männer“ (den man hier findet) speziell die Gender-Mainstreaming-Politik der Vereinten Nationen im Zusammenhang mit dem Völkermord im Kongo, dem Männer so stark zum Opfer fielen, dass in manchen Regionen die Überlebenden zu achtzig Prozent aus Frauen und Kindern bestehen. Das Ergebnis von Drummonds Analyse: Grundlage der UN-Politik ist die Übernahme des sogenannten Gender-Mainstreaming-Prinzips, das der offiziellen Definition zufolge den Bedürfnissen beider Geschlechter zugutekommen soll, de facto aber fast ausschließlich zugunsten von Frauen eingesetzt wird. Obwohl die Vereinten Nationen beispielsweise in Ruanda und dem früheren Jugoslawien immer wieder Zeuge davon wurden, wie sich geschlechtspezifische Gewalt vor allem gegen Männer und Jungen richtete, besteht für sie „Geschlechterpolitik“ darin, Frauen und Mädchen zu schützen. Drummond zeigt auf, dass, wenn beispielsweise Jungen und Männer durch Morddrohungen gezwungen werden, eigene Familienmitglieder zu vergewaltigen, Hilfe der UN danach lediglich den vergewaltigten Frauen zuteilwird. Wenn das massenhafte Abschlachten von Männern überhaupt in einen Bericht der UN Eingang findet, dann nur, weil die daraus „resultierende Unterrepräsentation von Männern dazu führt, dass Familien mit nur noch einer Frau als Haushaltsvorstand weniger sicher sind“ – also weil tote Männer das Leben von Frauen beeinträchtigen. Entgegen sämtlicher vorliegender Erkenntnisse wird immer wieder betont, dass Frauen und Kinder in den geschilderten Konflikten besonders gefährdet gewesen seien. Generell sei bei der Beschäftigung mit dem Konflikt im Kongo insofern eine feministische Perspektive vorherrschend, die Drummond aber als nicht zu Ende gedacht betrachtet, da die Marginalisierung männlicher Opfer das Klischee von Frauen als verwundbar und kontinuierlich hilfsbedürftig verstärke.

Die Medien tun das ihre, um den vorherrschenden Sexismus zu verstärken. Wie etwa Stephen Livingston, Professor für Politische Kommunikation und Internationale Angelegenheiten in Washington, am Beispiel des Kosovokonflikts aufzeigt, werden, selbst wenn es um Kriegs- und Krisengebiete geht, bei denen bekannt ist, dass dort massenweise Männer umgebracht wurden, in Stellungnahmen jene Fälle am lautesten und schärfsten angeprangert, in denen Frauen und Kinder zu den Opfern zählen. (Das mag bei Kindern noch nachvollziehbar sein, aber dass es von seinem Geschlecht abhängt, wie beklagenswert ein Opfer ist, überzeugt aus ethischer Perspektive nicht.) Wenn Frauen aus einer Region vertrieben und Männer dort in großer Zahl getötet werden, richtet sich das Interesse der Medien vor allem auf das Schicksal der Frauen. Männer hingegen nahmen in Berichten über den Kosovo-Konflikt den Status von „Nicht-Personen“ ein, fügt Professor Adam Jones hinzu: Kampagnen, die sich gegen das geschlechtspezifische Töten von Männern richten, wurden von den Medien weitgehend ignoriert, die sich stattdessen „würdigen“ Opfern wie vergewaltigten Frauen zuwandten. Dasselbe Muster ließ sich bei den Massakern in Ost-Timor (September bis Oktober 1999) feststellen.

Zu ähnlichen Erkenntnissen gelangte der französische Mediziner Roy Braumann, ein Mitglied von Ärzte ohne Grenzen, in einem Bericht über die Situation in Ruanda: TV-Bilder über den dortigen Völkermord, dem vor allem Männer zum Opfer fielen, zeigten die Toten entindividualisiert in Leichenbergen und unter den Überlebenden überwiegend hohläugige Frauen und Kinder. Männer wurden vor allem als Ausübende von Gewalttaten ins Bild gesetzt. Der Rückgriff auf solche Archetypen (man könnte auch sagen: Klischees) vom Täter Mann und dem Opfer Frau, so Braumann, wurde offenbar als wichtig betrachtet, um weltweit und insbesondere bei westlichen Zuschauern augenblicklich das nötige Mitleid zu erwecken.

An den in Medien üblichen Formulierungen „unter den Toten befinden sich auch soundsoviele Frauen und Kinder“ sowie „Frauen und Kinder sind besonders betroffen“ nimmt insbesondere Dr. Charli Carpenter Anstoß. Zwar könne man wohlwollend annehmen, räumt Carpenter ein, dass Journalisten derartige Versatzstücke nicht mit sexistischem Hintergrund verwenden, sondern als Chiffre dafür, dass vor allem die schutz- und wehrlose Zivilbevölkerung betroffen sei. Dies mache solche Phrasen aber nicht weniger sexistisch: In den meisten kriegerischen Konflikten unserer Zeit, erklärt Carpenter, gehören auch die meisten Männer zur Zivilbevölkerung, da solche Konflikte in der Regel von nationalistischen Extremisten geführt werden und zu keiner Massenmobilisierung führen. Zugleich sind Frauen (und auch Kinder) häufig Beteiligte an bewaffneten Konflikten: Während nach dem Ende des kalten Krieges weltweit nur 20 Prozent der Männer im kriegsfähigen Alter für militärische oder paramilitärische Handlungen mobilisiert werden können, stehen weltweit 500.000 Frauen unter Waffen; in manchen Bereichen geht der Anteil weiblicher Kämpfer hinauf auf 25 bis 30 Prozent. Männer quasi automatisch mit Kämpfern und Frauen mit Zivilistinnen gleichzusetzen, darin ist Carpenter zuzustimmen, reproduziert also sehr wohl eine sexistische und realitätsferne Darstellung bewaffneter Konflikte.

Die Menschenrechts-Expertin Charli Carpenter verweist darauf, dass Hilfsorganisationen in ihren Broschüren weit überwiegend leidende Frauen zeigen. Im selben Jahr, in dem 8000 Männer und Jungen in Srebrenica umgebracht wurden, veröffentlichte das ICRC die Kurzdarstellung „Zivilisten im Krieg“, in der sich eigene Kapitel sowie Fotografien über leidende Frauen und Kinder fanden, aber keines von beidem über leidende männliche Zivilisten. Auch auf den Websites führender Hilfsorganisationen wie dem Internationalen Roten Kreuz und OCHA gab es eigene Seiten für „Frauen“ und „Kinder“, aber keine für „Männer“. Die Hilfsorganisation Save the Children schließlich betont: „Die Versorgung sowie der Schutz von Frauen und Kindern müssen bei ethnischen und politischen Konflikten höchsten humanitären Vorrang haben.“ Wenn das Risiko, von dem Männer betroffen sind, überhaupt in Dokumenten oder Vorträgen erwähnt wird, folgen dem, anders als bei Frauen, nur selten eine genauere Analyse oder Empfehlungen, wie damit umgegangen werden solle. So erwähnt eine Analyse Jeanne Wards über geschlechtsbezogene Gewalt in Konfliktgebieten, dass Projekte, die sich um männliche Überlebende geschlechtsbezogener Gewalt kümmern, praktisch nicht existieren; aber auch Wards Bericht fokussiert sich nach dieser Anmerkung fast ausschließlich auf Frauen und Mädchen und beinhaltet keine Empfehlungen hinsichtlich von Männern – abgesehen von der einzigen Ausnahme, wie Männer eingebunden werden können, um Gewalt an Frauen zu reduzieren. Carpenter zitiert auch den Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, als es um das Thema der sexuellen Versklavung von Jungen unter den Taliban ging: „Insbesondere wenn es um Konfliktsituationen in bestimmten Ländern geht, spricht man einfach nicht über die Misshandlung junger Männer.“

In einer vergleichenden Analyse stellte Professor Adam Jones die Veröffentlichungen über den Kosovokonflikt von Amnesty International denen der Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch gegenüber. Deren Ergebnis: Human Rights Watch erkannte die große Verwundbarkeit gerade von Männern im Kosovokonflikt und veröffentlichte beispielsweise die Analyse „Serbische Kräfte separieren Männer von Frauen und Kindern in Malishevo“. Darin machte Human Rights Watch darauf aufmerksam, dass bei früheren Zwischenfällen im Kosovo- und im Bosnienkonflikt die jugoslawische Armee und die serbische Polizei für die Massenhinrichtung unbewaffneter Männer verantwortlich waren. Amnesty hingegen machte um die Thematisierung der speziell gegen Männer gerichteten Gräueltaten im Kosovokonflikt einen großen Bogen und veröffentlichte stattdessen Verlautbarungen wie „Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen in der Provinz Kosovo“, in der sich Formulierungen finden wie „Frauen sind besonders verwundbar, was Menschenrechtsverletzungen angeht“ und begründete dies damit, dass es „Fälle gab“, bei denen „albanische Frauen das Schicksal vieler ihrer Männer teilten und so wie diese misshandelt und in unfairen Schauprozessen verurteilt“ wurden. Dass sich im Kosovo ein Genderzid an Männern abzuzeichnen begann, wurde von Amnesty trotz eindeutiger Hinweise nicht erkannt. Als Amnesty schließlich über die Massentötungen an Männern berichtete, wurde, anders als bei den Frauen, das Geschlecht der Ermordeten ausgeblendet: Stattdessen war von „Opfern“, „Dorfbewohnern“, „Menschen“, „Albanern“, „Serben“, „Leichen“ und „Zivilisten“ die Rede.

Dieser Sexismus von Amnesty International war schon des Öfteren ein Thema für die Männerrechtsbewegung; indessen zieht er sich bis in die Gegenwart. Mit befremdlichen Slogans wie „Waffengewalt trifft Frauen und Mädchen anders als Männer“ protestierte Amnesty beispielsweise noch Anfang 2013 gegen Waffenlieferungen in den Kongo, erntete dafür auf Facebook allerdings auch massive Kritik. Ebenfalls Anfang 2013 veröffentlichte Amnesty einen Bericht über, so Spiegel-Online, die „wichtigsten Problemfelder“, was die Folterlager im Irak angeht. An erster Stelle steht „gezielte Gewalt gegen Frauen“. Denn: „Von rund 37.000 Häftlingen im Irak waren Mitte 2012 rund 1100 weiblich.“ Allerdings ist der Amnesty-Bericht im Original bei weitem nicht so einseitig sexistisch wie der Beitrag, den Spiegel-Online zum Beispiel aus gewichteten Zwischenüberschriften daraus gemacht hatte.

„Meiner Ansicht nach“, argumentiert Professor Adam Jones, „kann kein ernstzunehmender Anspruch auf Menschlichkeit, Fairness und analytischer Gründlichkeit von denjenigen erhoben werden, die bei ihrer humanitären Arbeit bewusst oder unbewusst die Hälfte der Menschheit zu Personen zweiter Klasse reduzieren“. Das ist zwar sehr wahr, aber das Problem bei diesem Thema liegt darin, dass wir alle – häufig unbewusst, wie ich vermute – ebendiese Trennung zugunsten von Frauen und zu Lasten von Männern automatisch vornehmen. Hier herrscht eine Art stillschweigender Übereinkunft über Demokratien und Diktaturen hinweg: Als etwa Saddam Hussein zu Beginn des Konfliktes mit den USA Anfang der neunziger Jahre die Frauen unter seinen Geiseln freiließ und die Männer zurückbehielt, gab es keinerlei Proteststürme in der westlichen Welt. Man stelle sich die internationale Reaktion vor, wenn Hussein die Männer hätte gehen lassen und die Frauen zurückbehalten hätte. Dass es hier einen unwillkürlich ablaufenden Sexismus in der menschlichen Psyche gibt, der für zahllose Männer tödliche Folgen hat, muss erst einmal kognitiv erschlossen werden.

Es ist allerdings sehr erfreulich, dass dieser Prozess mittlerweile begonnen hat und hierbei in der Antidiskriminierungsforschung auch Leitideologien unserer Gesellschaft allmählich kritisch hinterfragt werden. So befindet Dubravka Zarkov, Professorin für Genderforschung, Anthropologie und Soziologie zu Erörterungen, wie sie in diesem Kapitel diskutiert wurden:

„Analysen dieser Art machen deutlich, dass der westliche Feminismus noch immer viel zu sehr gefangen ist in dem Versuch, Weiblichkeit als sexuelle Verletzungsoffenheit und Männlichkeit als aggressiv und unverletzlich zu konstruieren. Auf ähnlich festgefahrene Weise wird die Idee aufrechterhalten, dass sexuelle Gewalt und Kriegsgewalt nicht nur ausschließlich von Männern verübt werden, sondern auch als essenziell maskulin anzusehen sind. Die Gewalthandlungen in Abu Ghraib beweisen jedoch das Gegenteil: Die weiblichen Gefängniswärter waren an amerikanischen hegemonialen, rassistischen, islamophoben, homophoben und gewaltsamen Projekten eines ‚Kriegs gegen den Terror‘ und einer Besatzung des Irak ebenso beteiligt, als wäre dies ihr ureigenstes Projekt, und nicht ein Projekt, das sie lediglich deshalb verfolgten, weil sie dahingehend manipuliert oder dazu gezwungen worden waren. Genau wie die männlichen Gefängniswärter nutzten sie dabei ihre eigene ‚informierte Handlungsfähigkeit‘ (Butalia 2001), ihr eigenes Konzept des Anderen, um Gewalthandlungen zu verüben. In ihrem Rückblick auf zehn Jahre feministischer Kämpfe um die Rechte von Frauen im Lichte von Abu Ghraib hat Rosalind Petchesky (2005) Ansichten dieser Art kritisch hinterfragt und dazu aufgefordert, den analytischen und politischen Apparat zu überdenken, den Feministinnen benutzen sollten, wenn sie den Missstand der sexuellen Gewalt in kriegerischen Konflikten thematisieren und zu überwinden versuchen. Die ‚Rechte des Körpers‘, so Petchesky, gelten natürlich auch für Männer.“

Sie mögen auch für Männer gelten, aber besonderes Engagement dafür gibt es in einer global sexistischen Gesellschaft nicht. Jährlich gibt es weltweit Flashmobs unter dem Motto „One Billion Rising – Nein zu Gewalt gegen Frauen“. Dass es einmal vergleichbare Aktionen unter dem Motto „Nein zu Gewalt gegen Menschen“ (beiderlei Geschlechts) gibt, dürfte niemand von uns zu seinen Lebzeiten noch erleben.